Die Aufgabe war alles andere als leicht. Gesucht wurde ein Nachfolger für den Alfa Romeo Giulia Sprint GT, heute allgemein als „Bertone“ bekannt. Basis sollte die zu diesem Zeitpunkt neue Alfetta sein, die Ablösung für die auslaufende Baureihe Giulia. Überraschend wurde aber nicht das für das erfolgreiche Coupé verantwortliche Designstudio Bertone beauftragt, sondern der aufstrebende Giorgetto Giugiaro, der sich gerade selbständig gemacht hatte.
1974 feierte Giugiaros Meisterwerk Premiere. Publikum und Fachwelt waren gleichermaßen begeistert. Eine so extreme Keilform hatte es zuvor nur bei hochkarätigen Supersportwagen gegeben. Mit der flachen Motorhaube, die in eine nur wenig steiler stehende Windschutzscheibe übergeht, und dem im sanften Bogen auslaufenden Heck wirkt die Karosserie elegant gestreckt. Ein Effekt, der durch ein in die C-Säule eingelassenes dreieckiges Element noch betont wird. Die Doppelscheinwerfer und die extravagant geteilten Heckleuchten unterstreichen den sportlichen Charakter. In guter Alfa Romeo Tradition erhielt das viersitzige Alfetta Coupé den Namenszusatz GT für „Gran Turismo“.
Motor vorne + Getriebe hinten = optimale Gewichtsverteilung
Die Technik des Donnerkeils stammt weitgehend von der Alfetta Limousine (interner Baureihencode 116), lediglich der Radstand ist um 110 Millimeter gekürzt. Auch der Alfa Romeo Alfetta GT verdankt seine optimale Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse der so genannten Transaxle-Bauweise. Wie beim zweimaligen Formel-1-Weltmeister – von dem der Name Alfetta abstammt – liegt der Motor vorne. Getriebe und Kupplung sind dagegen zusammen mit dem Differenzial mit der Hinterachse verschraubt. Auf diese Weise wandert ein beträchtlicher Teil des Gewichtes auf die angetriebene Hinterachse. Dadurch werden die Traktion und die Spurstabilität beim starken Bremsen verbessert, ein klarer Vorteil gegenüber vielen zeitgenössischen Konkurrenten.
Ein Übriges trägt die ebenfalls ähnlich wie beim Grand-Prix-Renner Tipo 158/159 „Alfetta“ nach dem DeDion-Prinzip ausgelegte starre Hinterachse bei. Ein Watt-Gestänge sorgt zusätzlich für die optimale Seitenführung der Hinterachse und Spurtreue der Räder. Durch diese aufwändige Hinterachse fällt das Fahrverhalten deutlich neutraler als bei konventioneller Konstruktion aus und ermöglicht höhere Kurvengeschwindigkeiten. Die Positionierung der Scheibenbremsen innenliegend direkt am Differenzial reduziert darüber hinaus die ungefederten Massen.
Die Vorderachse mit längs liegenden Drehstabfedern, unteren Dreiecksquerlenkern und Stabilisator wurde von Alfa Romeo bei der Alfetta erstmals in einem Serienfahrzeug verwendet. Diese Bauweise schafft Platz im Motorraum und senkt den Schwerpunkt ab. Auch der Kofferraum (Fassungsvermögen 240 Liter) unter der samt Heckscheibe öffnenden Klappe fiel bei nur rund zehn Zentimeter längerer Karosserie großzügiger aus als beim – noch bis 1976 parallel gebauten – Vorgänger Giulia Sprint GT.
Im Cockpit nehmen die Designer Anleihen bei Rennwagen. Hinter dem Lenkrad sitzt als einziges Instrument der Drehzahlmesser. Tachometer, Tankuhr und andere Anzeigen sind in einen zweiten Block in der Mitte der Armaturentafel ausgelagert. Erst in der zweiten Baureihe (ab 1980) sind alle Instrumente auf konventionelle Art direkt hinter dem Lenkrad angeordnet.
Alfa Romeo Alfetta GT – Start mit 1,8 Liter Hubraum
Den Anfang macht 1974 das schlicht Alfa Romeo Alfetta GT genannte Modell. Unter der Haube arbeitet der bewährte Vierzylinder-Sauger mit knapp 1,8 Liter Hubraum, der zunächst 122 PS leistet. Mit zwei obenliegenden, von einer Kette angetriebenen Nockenwellen sowie aus Aluminium gefertigtem Block und Zylinderkopf ist er noch immer auf der Höhe der Zeit. 1975 sinkt die Leistung durch eine andere Vergaserbestückung, mit der allerdings auch der Verbrauch reduziert wird, auf 118 PS.
Alfa Romeo Alfetta GT 1.6 und GTV – Ergänzung nach oben und unten
Als 1976 die Baureihe Giulia Sprint endgültig ausgedient hat, wird das Angebot bei der Coupé-Version der Alfetta ausgebaut. Noch bis Ende des Jahres parallel zur 1,8-Liter-Variante – die danach als Rechtslenker für einige Exportmärkte weiterlebt – stehen nun ein 1,6-Liter-Motor und im neuen Topmodell der Zweiliter-Vierzylinder zur Wahl.
Letzteres ist von außen zu erkennen unter anderem an kunststoffverkleideten Stoßstangenhörnern und am Schriftzug GTV – für „Gran Turismo Veloce“ – auf den angedeuteten Luftauslässen in der C-Säule. Mit ebenfalls 122 PS bietet der größere Vierzylinder etwas mehr Durchzugsvermögen als der ausgemusterte 1,8-Liter. Durch andere Nockenwellen steigt die Leistung im Frühjahr 1979 auf 130 PS. Die Modellbezeichnung ändert sich, zusammen mit neuen Sitzpolstern, auf GTV 2000 L.
Das neue Einsteigermodell Alfetta GT 1.6 zieht seine Berechtigung auch aus der zu dieser Zeit neuen Gesetzgebung. Die Politiker hielten es für nötig, Bürgern unter 21 und über 65 Jahren besonders leistungsstarke Autos vorzuenthalten. Jeder Sportwagen mit einer Höchstgeschwindigkeit jenseits von 180 km/h fiel automatisch unter diesen Verdacht. Offiziell lief die Alfetta GT mit dem 109 PS starken 1,6-Motor deshalb exakt 179 km/h.
130 PS sind einem besonders leistungshungrigen Alfa Romeo Fan in Deutschland nicht genug – dem Aachener Autohändler Horst Reiff. Er implantiert versuchsweise den 200 PS starken Achtzylinder-Motor des Alfa Romeo Montreal in die Karosserie der Alfetta GTV. Der 2,6-Liter-V8 beschleunigt einen Prototypen nach Messungen eines deutschen Fachmagazins auf 222 km/h. Zu einer Serienfertigung kommt es allerdings nie.
Praktikabler ist da schon die Entwicklung der hauseigenen Rennsportabteilung Autodelta, die dem Zweiliter-Triebwerk mit Hilfe eines Turboladers vom KKK eine Leistungskur verpasst. Dazu wurde außerdem mittels spezieller Kolben die Verdichtung reduziert (7,1:1 statt 9,0:1 beim Saugmotor), eine Zylinderkopfdichtung aus Metall montiert sowie eine elektrische Benzinpumpe nachgerüstet. Darüber hinaus sind Kühlsystem, Auspuffanlage und Fahrwerk an die auf serienmäßig 150 PS bei 0,95 bar Ladedruck gestiegene Leistung angepasst.
Zu erkennen ist das mit dem Beinamen Turbodelta bedachte, nur in Alfa Rot erhältliche Coupé an den Regenbogen-farbenen Zierstreifen und dem Autodelta-Logo auf den Flanken und zwei zusätzlichen Lüftungsschlitze in der schwarz lackierten Motorhaube. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 205 km/h bei unverändertem Antriebsstrang übertrifft das neue Topmodell die Alfetta GTV mit Zweiliter-Saugmotor um satte 11 km/h.
Der eigentliche Einsatzzweck der Alfetta GTV Turbodelta ist allerdings der Motorsport (siehe dazu auch weiter unten folgendes Kapitel). Deswegen wird nur eine für die Homologation nötige Kleinserie von 400 Stück gebaut.
Zweite und dritte Serie – nur der Alfa Romeo Alfetta GTV 2.0 bleibt
1980 wird das Alfetta Coupé gründlich überarbeitet und auf das 130 PS starke Modell GTV 2.0 reduziert. Die bisher aus verchromtem Stahl gefertigten Stoßfänger werden durch wirkungsvollere Exemplare mit Kunststoffverkleidung ersetzt. Die zuvor zweigeteilte, kleine Gummilippe unter der vorderen Stoßstange weicht einem deutlich größeren Spoiler, der durch Seitenschweller ergänzt wird. Das charakteristische Alfa Romeo Wappen auf dem Kühlergrill, das Scudetto, ist kleiner, der Außenspiegel größer. Die Dreieckselemente in der C-Säule haben eine neue Kunststoffverkleidung erhalten. Außerdem sind die Gläser der Rückleuchten nun ebenfalls einteilig.
Im Cockpit sind jetzt alle Instrumente zu einem einzigen Element hinter dem neu gestalteten Lenkrad zusammen gefasst. Geänderte Sitze mit verbesserter Seitenführung und neuen Stoffen sowie zusätzliche Geräuschdämmung unter dem Armaturenbrett vervollständigen die Änderungen bei der Innenausstattung.
Als Reminiszenz an das Engagement von Alfa Romeo in der Formel 1 wird 1981 eine auf 650 Exemplare limitierte Sonderserie mit der Bezeichnung „Grand Prix“ auf Kiel gelegt. Kennzeichen sind unter anderem die teilweise schwarz lackierten 15-Zoll-Leichtmetallfelgen, die in der einzig verfügbaren Farbe Rot lackierten Frontspoiler, Seitenschweller und Stoßfänger sowie eine spezifische Innenausstattung.
Mit einer weiteren Überarbeitung startet 1983 die dritte Serie, von der wiederum nur der GTV 2.0 angeboten wird. Äußerlich sind die Unterschiede unter anderem die Seitenverkleidungen im unteren Bereich und der in Wagenfarbe lackierte Außenspiegel. Im Innenraum fallen vor allem die neuen Sitze samt Kopfstützen mit Netzeinsätzen auf. Mit knapp 75.000 Stück ist die Zweiliter-Variante das erfolgreichste Modell des Alfetta Coupés, die Produktion wird 1986 eingestellt.
Mit legendärem Sechszylinder-Motor – der Alfa Romeo GTV6
1980 erhält die Baureihe ein neues Spitzenmodell, das allerdings ohne „Alfetta“ in der Bezeichnung angeboten wird – der Alfa Romeo GTV6. Herzstück ist der komplett aus Aluminium gefertigte V6-Zylinder mit knapp 2,5 Liter Hubraum. Das in Vergaser-Version erstmals in der Luxuslimousine Alfa Romeo 6 verwendete Triebwerk ist bis heute einer der legendärsten Motoren aus Italien.
Mit 60 Grad Zylinderwinkel baut das kurzhubig ausgelegte Triebwerk (68,3 Millimeter bei einer Bohrung von 88,0 mm) sehr kompakt. Die vierfach gelagerte Kurbelwelle sorgt für vibrationsarmen Lauf. Und da der Export in die emissionstechnisch besonders strengen USA beim GTV6 eine entscheidende Rolle spielen sollte, ist für die optimale Gemischaufbereitung eine moderne Bosch-L-Jetronic-Einspritzanlage zuständig. 158 PS stehen zu Buche, die für eine Höchstgeschwindigkeit von 205 km/h gut sind. Für Länder wie USA und Schweiz wird außerdem eine Katalysator-bestückte Variante gebaut, die 154 PS leistet.
Welche Reserven das hochmoderne Triebwerk hat, beweisen die Rennversionen des GTV6 vor allem in der Tourenwagen-Europameisterschaft (siehe dazu auch weiter unten folgendes Kapitel).
Damit der V6-Zylinder unter die Motorhaube passt, erhält diese eine kräftige Auswölbung. Weitere auf Anhieb sichtbare Unterscheidungsmerkmale zur Alfetta GTV 2.0 sind die Fünfloch-Leichtmetallräder. Unter dem Blech weist der GTV6 darüber hinaus einen größeren Tank (82 statt 54 Liter beim GTV 2.0), innenbelüftete Bremsscheiben an der Vorderachse sowie das der gesteigerten Leistung und dem rund 100 Kilogramm höheren Gewicht angepasste Fahrwerk auf. Die einzigen lieferbaren Farben sind Rot sowie die Metallic-Lackierungen Schwarz, Silber und Anthrazitgrau.
1983 wird der GTV6 analog zum GTV 2.0 optisch überarbeitet. Kennzeichen sind unter anderem die seitlichen Schutzleisten und die dunkelgraue Lackierung auf den Flanken darunter, der in Wagenfarbe lackierte Außenspiegel und die Netzkopfstützen. Insgesamt werden rund 22.300 Alfa Romeo GTV6 gebaut, inklusive einer deutschen „Grand Prix“-Sonderserie mit 200 Stück.
Das Alfa Romeo Alfetta Coupé im Motorsport
Schon als Limousine ist der Alfa Romeo Alfetta ein beliebtes Rallyeauto, vor allem in Frankreich. Richtig Schwung kommt in die Sache, als sich die offizielle Motorsportabteilung Autodelta das Coupé vornimmt. Aus dem Zweiliter-Sauger des GTV holen die Ingenieure rund 200 PS heraus. Größter Erfolg ist der Sieg bei der 1975 zur Europameisterschaft zählenden Rallye Elba durch Amilcare Balestrieri. Werkspilot Mauro Pregliasco beendet außerdem die Europameisterschaft 1979 auf Gesamtrang vier.
Im selben Jahr arbeitet Autodelta sogar an einer Achtzylinder-Variante der Alfetta GT. Der aus einem Rennboot stammende, entfernt mit dem Triebwerk des Alfa Romeo Montreal verwandten Dreiliter-V8 leistet rund 350 PS. Die für die Homologation (Zulassung zum Motorsport) notwendige Kleinserie von 400 Fahrzeugen kommt allerdings nicht zustande. Nur zwei Prototypen werden gebaut, die lediglich Testeinsätze bestreiten.
Erfolgreicher ist das zweite Autodelta-Projekt, dem Zweiliter-Triebwerk der Alfetta GTV einen Turbolader aufzupflanzen. Auf rund 350 PS steigt die Leistung des Vierzylinders dadurch, der einer der ersten Turbomotoren im Rallyesport ist. In der Europameisterschaft 1980 feiert der Italiener Mauro Pregliasco mit dem Fahrzeug einige Achtungserfolge. Er gewinnt die Donau-Rallye und belegt in der Jahreswertung den fünften Platz.
1982 tritt in der Tourenwagen-Europameisterschaft ein neues Reglement in Kraft. In der so genannten Gruppe A sind ab sofort Großserienfahrzeuge (mindestens 5.000 Stück pro Jahr gebaut) gefordert. Damit interessiert sich Alfa Romeo wieder für die Serie, in der die Marke in den 1960er Jahren mit dem Giulia Sprint GTA unzählige Erfolge feierte und Titel reihenweise einfuhr. Bei Autodelta entsteht eine Rennversion des GTV6. Das Coupé wiegt nur knapp über 1.000 Kilogramm. Die Leistung des 2,5-Liter-Sechszylinders steigt auf rund 215 PS.
Der größte Vorteil ist jedoch seine dank Transaxle-Bauweise im Vergleich zur Konkurrenz bessere Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. Die ausgeglichene Balance macht sich besonders unter schwierigen Rennbedingungen bemerkbar, wo sie häufig sogar den PS-Nachteil gegenüber den Gegnern in der großen Hubraum-Kategorie ausgleicht. Zahlreiche Siege in der Klasse bis 2,5 Liter Hubraum reichen aber auch so aus, um Alfa Romeo von 1982 bis 1985 vier Mal in Folge den Herstellertitel in der Tourenwagen-Europameisterschaft zu sichern.
Auch in nationalen Meisterschaften feiert der GTV6 Erfolge. In Frankreich und Großbritannien holt er Meistertitel, in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) erzielen Peter Oberndorfer und Ski-Rennläufer Franz Klammer Achtungserfolge. Weil es das dortige Reglement erlaubt, wird in Südafrika der Hubraum des Sechszylinders auf drei Liter vergrößert. Die dazu nötige Kleinserie von 200 Stück verkauft sich gut.
Bei Rallyes macht der GTV6 ebenfalls eine gute Figur. Das Coupé wird in einigen nationalen Rallye-Meisterschaften erfolgreich eingesetzt. Das Highlight: Inmitten der übermächtigen Gruppe-B-Boliden mit mehr als 500 PS wird der Franzose Yves Loubet bei der zur Weltmeisterschaft gewerteten Rallye Korsika 1986 Dritter.
(c) Foto: Alfa Romeo