„Ich wollte schreien aber es ging nicht“ – Eine Fahrt im neuen McLaren 650S Spider.
„Der Weihnachtsmann ist nicht der Osterhase“ sagte einmal Uli Hoeness im Dezember als sein FC Bayern München mal wieder die Herbstmeisterschaft gewann. Zumindest in diesem Punkt sollte er in diesem Jahr irren. Am Vorabend zum Karfreitag erreicht uns der Anruf vom Mclaren Pressesprecher Deutschland, Frank Steffling, „Ich hätte für 3 Tage einen 650S Spider für euch. Ihr müsstet den Wagen aber auch unversehrt am Ostersonntag in München abliefern. Habt ihr Interesse?“ Es ist Weihnachten! Gut, die Frage war eher rethorischer Natur, klar haben wir Interesse. Nun heißt es aber erstmal Puls runter und irgendwie die Nacht hinter sich bringen.
Morgen soll er also da sein, der Nachfolger des vor 3 Jahren präsentierten MP4-12C (hier unser Bericht damals). Für McLaren bedeutete er damals die Rückkehr in den Bau von High-End Sportwagen mit Straßenzulassung. Der heute bei den Fans noch geliebte McLaren F1 mit seinen drei Sitzen und das SLR Projekt mit Mercedes Benz ist wohl allen noch im Gedächtnis. Der MP4-12c war vom Start weg ein respektables Fahrzeug, hatte aber im Detail noch Raum für Verbesserungen frei. Speziell die Bedienung des Multimediasystems mit dem Navi war nicht von dieser Welt.
Die Nacht ist geschafft und los gehts zur Klassikstadt nach Frankfurt am Main. Der Wagen steht beim dortigen Händler, Autohaus Dörr. Dieser betreibt nicht nur den Betrieb in Frankfurt, sondern auch in Stuttgart und seit neuestem den McLaren Stützpunkt in München. Somit ist er für drei der aktuell fünf McLaren Standorte in Deutschland verantwortlich und der perfekte Ansprechpartner für Interessenten der Britenflunder.
Endlich, es ist Karfreitagmorgen und wir stehen vor der blauen Fahrmaschine. „Nein, es ist nicht nur ein Facelift“ kommentiert Frank unseren Blick auf die neue Front im Style des großen P1. Stimmt, über 25% der relevanten Teile sind neu konstruiert oder angepasst worden. „Auch das Navisystem wurde komplett erneuert“, bekomme ich noch mit auf den Weg. Das ist zwar grundsätzlich richtig, die Bedienung und Ablesbarkeit ist besser, aber noch nicht „state of the Art“.
Aber nun, nachdem ein paar Besucher der Klassikstadt den McLaren fotografiert haben, was uns noch mehrfach passieren soll, starte ich den McLaren M838T Doppelturbo V8-Motor mit nun 650 PS. Wir müssen über eine holprige Strecke mit stillgelegten Straßenbahnschienen in Richtung Autobahn. Sicherheitshalber heben wir elektronisch die Fahrzeughöhe mit dem linken Multifunktionshebel etwas an. In dieser Einstellung in Verbindung mit dem angenehm schaltenden Automatikgetriebe lässt sich der 650S spielerisch durch eine Großstadt wie Frankfurt fahren. Gut, die Sicht nach hinten ist etwas eingeschränkt, aber wir fahren ja primär vorwärts und das gleich mit mehr Schub, da die Autobahn naht. Also schnell noch per Knopfdruck das zweiteilige Dach in weniger als 17 Sekunden geöffnet. Anhalten müssen wir nicht, das Dach öffnet auch während der Fahrt wenn man nicht schneller als 30 km/h unterwegs ist.
Sicherlich ist das ist nicht die McLaren Zielgeschwindigkeit, da fehlt noch eine weitere Null bei der Zahl, exakt sind es sogar 329 km/h. In diesen Bereich begeben wir uns nun, wollen fühlen, hören, Geschwindigkeit erleben. Die Seitenscheiben bleiben oben, die kleine Heckscheibe fahren wir runter um die Motordramatik im Innenraum noch intensiver zu fühlen.
Auf der nun vierspurigen Autobahn ohne Tempolimit, an diesem Karfreitag fast leer, drücke ich erstmals das Gas voll durch. Eben fuhren wir noch geschmeidige 120 km/h, nun, ein Wimperschlag später, sind es 220 km/h. Ich schau rüber zu meiner Begleitung. Diesmal kein Redakteur der Geschwindigkeit gewohnt ist, wegen dem Feiertag, daher hat ein autobegeisterter Normalautofahrer und Freund die Möglichkeit genutzt, die gerade mal 1.370 kg Leergewicht des McLaren um 73 kg nach oben zu erweitern. Ich sehe nach diesem ersten Zwischenspurt Freude in seinem Gesicht und anschließend Verwunderung, als ich rüberbrülle, „Ja Mensch, wir fahren ja praktisch nur mit Halbgas, sind ja im Normalmodus. Ich stelle mal auf Track, dann wirds lustig“. Ein „Ummpf“ vernehme ich noch von meinem Co-Piloten, dann haut es seinen Kopf schon nach hinten. „Track“ ist eine von 3 Fahrmodi die per Schalter an der Mittelkonsole ausgewählt werden können. Ein zentraler Knopf aktiviert und deaktiviert die Regler. Der eine ist für die aerodynamischen Karosserieeinstellungen, der andere regelt den Motor und Antrieb. Sind im Normalmodus sämtliche elektronischen Helfer an, werden diese im Trackmodus deaktiviert. Bedeutet, ist man nicht Jenson Button sollte man diesen Fahrmodus bei Regen nicht wählen. Nein, auf gar keinen Fall!
Bei uns scheint die Sonne, es ist trocken und wir haben eine vierspurige Autobahn fast für uns. Das V8-Triebwerk hinter uns macht keine Geräusche, nein, es schreit. Es ist die Sinfonie einer metallenen Ingenieursmeisterleistung die einen so brutalen Sound abliefert, das sich ein aktueller Formel 1 Bolide vor Angst im Gebüsch versteckt.
Bei 290 km/h wird es „oben ohne“ aber arg zugig, so beschleunigen wir nicht weiter. Der 650S kann noch, wir nicht. Der Wind haut von allen Seiten ins Cockpit, benutzt unsere Köpfe als Spielbälle. Hinter uns schieben 678 Nm einfach immer weiter, als gäbe es keinen Luftwiderstand.
Auf einer Kirmes würde man nun sagen „Und jetzt das ganze rückwärts“, also rechts ran und zielstrebig das Bremspedal durchgedrückt. Hinten stellt sich das Luftleitwerk, genannt „Airbrake“, auf und die beim 650S serienmäßigen Karbonkeramik-Bremsen, die Scheiben haben so groß wie bei normalen Autos der Felgendurchmesser, beißen zu. Ok, man kann nicht sagen dass der McLaren einen großen Federweg hätte, aber nun überkommt uns dennoch das Gefühl, als sei der 650S der Hauptdarsteller in Jules Verne’s Film „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“, so krallt sich der McLaren in den Asphalt, vorne leicht nach unten gebeugt.
Ich schau wieder rüber, mein Begleiter mit nun wilden Haaren, weit aufgerissen Augen und diesem Lächeln das quer übers Gesicht geht, dass nur stammeln anstatt reden zulässt, sagt leise zu mir, „Ich wollte während des Beschleunigungs- und Bremsvorgangs schreien, aber es ging einfach nicht“. Das beschreibt den neuen 650S wohl am besten.
Wem ein Porsche Turbo zu unauffällig und perfekt erscheint, ein Ferrari zu auffällig und provokativ, der könnte mit dem McLaren glücklich werden und sollte einmal bei Dörr Automotive anrufen.
Text: Bernd Schweickard
(c) Foto: Bernd Schweickard