In den 1950er Jahren waren die italienischen Marken Fiat, Alfa Romeo und Lancia noch nicht vereint. Man kämpfte gegeneinander, wenn auch in meistens unterschiedlichen Klassen. Während Alfa Romeo natürlich damals schon zu den sportlichen Marken zählte, stand Lancia für große Fahrzeuge, eben das Gegenteil von Fiat, die mit dem Topolino eher die Massen bewegten.
Das es auch anders geht, wollte man in Turin wohl mit dem Fiat 8V, italienisch gesprochen „Fiat Otto Vu“, zeigen. 1952 wurde auf dem Genfer Autosalon ein knapp über 2 Meter langer Zweisitzer präsentiert, der Gran Turismo, aber auch Rennwagen sein sollte. Gebaut wurden am Ende nur 114 Stück. Diese sind schon eine Rarität, und 1954 kam noch ein ganz besonderes Exemplar dazu.
Dieses Einzelstück wurde mit einer leichten Karosserie aus Fiberglas bestückt. Die Technik, solch eine geschwungene Traumkarosserie in eben diesem Verbundstoff herzustellen, ist heute noch schwierig, damals eine Weltsensation.
Dieser Wagen der normalerweise gut behütet im werkseigenen „Museum Storico“ steht und zuletzt 2012 zur Mille Miglia vom Agnelli Enkel und Fiat Chairman John Elkann bewegt wurde, steht nun im Rahmen der Classic Days auf Schloss Dyck für uns bereit.
Die Classic Days welche bereits zum neunten Mal von Marcus Herford und einem rund 80-köpfigen Team, alles ehrenamtliche Helfer, rund um das alte Wasserschloss stattfinden, werden auch gerne als das deutsche Goodwood bezeichnet. Eine Ansammlung Oldtimer liebender Menschen treffen sich im Schlosspark, zeigen sich, flanieren und philosophieren über altes Blech. Ein Teil dieser großen Veranstaltung sind die „Racing Classics“, ein abgesteckter Dreieckskurs über normale Landstraßen, der umliegenden Orte.
Ähnlich wie bei der Topographie Italiens, gibt es hier eine lange Gerade durch eine von alten Bäumen gesäumte Allee und kleine, fast eckige Kurven in den beiden Ortschaften. Das sollte doch für unseren Otto Vu wie gemacht sein, denke ich zu diesem Zeitpunkt noch.
Das ändert sich als unsere Uhrzeit des Starts am Sonntag näher rückt. Gedanken schießen mir durch den Kopf. Was wird wohl der Wert dieses Wagens sein? Solch ein Gefährt geht schnell mal für mehrere hunderttausend, aber auch mal flugs für über eine Million Euro über den Auktionstisch bei Bonhams oder RMAuctions. Hoffentlich klappt alles, nur ungern möchte ich das Vertrauen und die Einladung zu dieser speziellen „Testfahrt“ der Presseabteilung der Fiat Group Deutschland verletzen.
15.30 Uhr, der Wagen wird von den mit angereisten Fiat Museums Mechanikern per mobilen Rampen aus dem Ausstellungszelt gerollt und mittig im Fahrerlager positioniert, in einer Schlange, bestehend aus einem Lancia 037 Rallye, einer Alfa Giulietta Sprint Zagato, einem Alfa 750 Competizione und Fiat Dino Spider.
Ein Mechaniker erklärt mir, „beim Einsteigen bitte nicht am filigranen Fensterrahmen festhalten oder abstützen, dieser würde sonst sehr schnell abbrechen“. Ok, scheint doch alles etwas in die Jahre gekommen zu sein. Ich rutsche in einen Ledersitz hinein, der so klein ist, wie ein heutiger Maxi-Cosi, mein Beifahrer sitzt leicht nach hinten versetzt neben mir. Gurte gibt es keine, was soll auch passieren, in einem Auto bei dem nach leichter Berührung schon die Fensterrahmen abbrechen.
15.45 Uhr, der Mechaniker gibt mir das Zeichen , ich soll den Zweiliter-V8 starten. Wie war das noch? Erst den Schlüssel drehen und dann an dem kleinen Knopf ziehen, oder andersrum, aber halt, waren es nicht drei Dinge die ich tun sollte? Mittlerweile laufen zwei der drei Alfas um mich herum, immer mehr Besucher laufen zu unserer Karawane, schauen, fotografieren, warten, warten was wird passieren mit diesem „Lifestyle-Geschoss“ der 50er?
16 Uhr, ich probiere die Version Zündschlüssel rum, dann am Knopf ziehen und mit einem lauten Knall bläst der V8 schöne schwarze Wolken nach hinten durch seine beiden dicken Endrohre in die Freiheit, als sei nach langer Schlafperiode ein Saurier erwacht. Anfangs läuft er etwas unrund, ich helfe mit leichten Zwischengas nach, halte ihn und die Zuschauer bei Laune.
Der Konvoi setzt sich in Richtung Start und Zielbogen in Bewegung. „Die ersten zwei Gänge sind nicht synchronisiert“ ruft mir Mazerato noch zu. „Gib besser mehr Gas als zuwenig, dann fährt er sich besser“, nun gut, also Gaspedal dosiert Richtung Bodenblech gedrückt, das mit einem alten grünen, sagen wir, Veloursteppich, verkleidet ist. Die Kupplung selbst funktioniert erstaunlich gut und ist sehr leichtgängig. Also umklammere ich den Knauf den langen Schalthebel, oder sagen wir besser, Schaltstock, werfe den 1. Gang rein und fahre durch einen Menschenspalier zum Startpunkt. Natürlich nur im ersten und zweiten Gang des unsynchronisierten Getriebes. Aber mit viel Zwischengas und zur Freude der Besucher klappt dies recht gut.
Der einzige Schreckmoment kommt direkt nach dem Start, als es nach einer Geraden in eine 90 Grad Rechts-Links-Kombination geht. Was habe ich in diesem Moment gelernt? Das Aussagen wie „die Bremsen sind altersbedingt nicht so gut wie bei einem heutigen Auto“, von verschiedenen Menschen differenziert interpretiert werden können. Wahr ist, die Trommelbremsen sind für einen Menschen der aus der Neuzeit kommt, praktisch nicht vorhanden. Man tritt auf ein Pedal, es geht schwer, der Wagen möchte nicht wirklich langsamer werden, man versucht fester zu treten, ist aber schon am Anschlag. Von außen angefahren, kommen wir in die erste Kurve rein, durch sind wir noch nicht. Ich wuchte den Otto Vu mit dem unglaublich schönen, aber auch rutschigen, großen Holzlenkrad um die Kurve. Der Einschlagswinkelwinkel ist eben größer dimensioniert. Vielleicht gab es früher auch einfach nur mehr Platz.
Nach zwei Runden haben sich der OttoVu und ich aneinander gewöhnt. Die immer heftiger werdende Hitze im Innenraum nehme ich schon gar nicht mehr wahr. Eine Kühlung gibt es wohl nicht, oder ich konnte sie nicht finden. Ich bin beschäftigt. Die Alfa Romeo Sportmodelle vor mir geben Gas, ich möchte dran bleiben. Bremse schon weit vor Kurven, lasse beim Runterschalten den V8 bullige Schreie ausstoßen, die Zuschauer winken und ich drehe das Holzlenkrad bis zum Anschlag rum, wie ein Schiffskapitän das Ruder der Gorch Fock. Wenn dann die lange Schnauze in Richtung Kurveninneres zeigt, bin ich zufrieden, Zwischengas, rechte Hand an den Schaltstock und nur mit der Linken das Ruder in der Hand. Man soll gar nicht glauben das da nur 165er Reifen drunter sind.
Fünf Runden dauert dieser Kampf. Fünf Runden dieser emotionale Moment. Fünf Runden eintauchen in eine andere Dimension des Autofahrens. Dieses Erlebnis hätte auch Fünf Jahre dauern können, mit dem nun 60-Jährigen. Tanti Auguri OttoVu.
Text: Bernd Schweickard
(c) Foto: Thomas Stark (10), Jens Scheibel
(c) Video: YouTube/Domino
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