Staatsaffäre – Der VW Phaeton lang

Obwohl Volkswagen seit 10 Jahren (Launch des ersten Phaeton im Jahr 2002) im Luxuswagenmarkt vertreten ist, konnte der Phaeton noch nicht aus dem Schatten der etablierten Modelle hervortreten. Nur kurz, als Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder, sich gerne im großen VW chauffieren lies, konnte er es auf die Titelseiten schaffen.

Wir prüfen nun, 10 Jahre später, woran das liegen könnte und fahren einen Phaeton V6 TDI in der Langversion. Rund 80% der deutschen Käufer entscheiden sich für den Selbstzünder. 500 Nm schieben den über Zwei Tonnen schweren Luxusliner nach vorne. Der 3.0 Liter V6 Turbodiesel läuft angenehm leise und überzeugt mit solider, linearer Leistungsentfaltung. Sportlichkeit ist ihm fremd, speziell bei der Langversion wird klar, dass der Phaeton mit dem einzig lieferbaren Dieseltriebwerk, eher zum ruhigen und preisbewussten Gleiten erschaffen wurde.

VW gibt den Phaeton mit 8,5 Liter im Drittelmix an, wir kamen während unserer 14-tägigen Testfahrt mit realistischen 9 – 10 Liter Diesel aus. Dabei waren einige Stadtfahrten und zügigere Autobahnetappen enthalten. 237 km/h sind in der Spitze drin und von 0 auf 100 km/h vergehen, Zeitungslesend im Fond liegend, 8,3 Sekunden. Und diese mit einem für einen Diesel tollen Klangbild, das eher an einen großen Benziner erinnert. Die serienmäßige Luftfederung mit Niveauregulierung senkt den Phaeton bei zügigem Autobahntempo automatisch ab. Der Fahrer hat aber auch die Möglichkeit das Höhenniveau selbst um bis zu vier Zentimeter zu variieren. Das Fahrwerk federt seidenweich alle brutalen Fahrbahnunebenheiten ab und liegt dennoch bei zügiger Fahrweise satt auf der Straße. Allerdings würden wir keine Hochgeschwindigkeitsverfolgung fahren, dafür erscheint es uns ein wenig zu weich. Die 6-Gang Automatik wirkt in Verbindung mit dem Dieselaggregat durchaus harmonisch.

Im Innenraum polarisiert der Phaeton allerdings sehr. Auf der einen Seite bietet er alles was dem Luxuswagenkäufer lieb und teuer ist, auf der anderen Seite ist er zuviel Passat, respektive versprüht nur dessen Charme. Gefertigt in der „Gläsernen Manufaktur“ ist er natürlich qualitativ auf sehr hohem Niveau verarbeitet, jedoch fehlt in der Gesamtanmutung der letzte Schliff um „teuer“ zu wirken. Er ist der klassische, zurückhaltende Vertreter der Luxusklasse. Über das gesamte Armaturenbrett erstreckt sich eine Leiste aus schwarzem Klavierlack bis in die Türen hinein. Die Lüftungsdüsen werden dadurch ebenfalls stilvoll verdeckt und fahren nur bei Bedarf in „Arbeitsposition“. Chic. Aufgeräumt ist sicher die passende Vokabel für das Cockpit. Die einen lieben es so, für die Protzer, die zeigen wollen was ihr Auto kann und gekostet hat, ist dies eventuell zu wenig.

Die Sitze sind typisch Luxusklasse äußerst bequem, bieten aber nur wenig Seitenhalt. Komfort stand wohl ganz oben im Lastenheft. Aber darum geht es letztendlich ja auch im Phaeton. Komfort, Ruhe, Gediegenheit sind seine Stärken. Zur Unterhaltung bietet das Infotainment-System alle Möglichkeiten. VW typisch einfach per Touchscreen auf dem acht Zoll großen Monitor zu bedienen. Navi und eine praktische Google-Suchfunktion sind ebenfalls integriert. Die beiden Einzelsitze im Fond mit elektrischer 10-Wege Einstellung und Massage-Funktion lassen in Verbindung mit dem elektrischen Heckscheibenrollo „Staatsfeeling“ aufkommen. So hat er sich also gefühlt, der Kanzler der sozialen Partei. Wir fühlen uns auch gut und probieren die gefühlten 50 Schalter und Bedienknöpfe aus, die im Unterschied zu den Protzern, sich dezent im Innenraum zurück halten. So hat man den Eindruck, es gäbe nur 10 Schalter, aber da irrt man sich.

2010 erhielt das Topmodell der Wolfsburger ein dezentes, aber umfassendes Facelift. LED-Lichter rundherum. Klare Linien und Kanten lassen das Flagschiff bullig, aber nicht aufdringlich erscheinen. Speziell die Front orientiert sich zu sehr an den günstigeren VW-Modellen und kommt fast bescheiden daher. Darunter leidet auch das Überholprestige auf der Autobahn. Wohl auch ein Grund, warum Luxuswagenkäufer gern zu den „Hoppla, hier komm ich“-Modellen greifen.

Es hat seinen Grund warum rund 70 Prozent der Phaeton-Modelle nach Asien exportiert werden. Der Luxus-Volkswagen verkörpert klare, qualitativ hochwertige Arbeit ohne SchiSchi. Das kommt dort gut an und stößt auf dem heimischen Markt eher ab. Auch nach 10 Jahren will er kein Showstar sein, kein künstlich gefakter Superstar. Der Phaeton ist ein klares Statement. Er besitzt alle Tugenden deutscher Handwerkskunst ist ehrlich und klar strukturiert. Nichts für die, die gerne zeigen was sie haben, sondern für die, die ein äußerst hochwertiges Luxusauto zum attraktiven Preis suchen. Oder einfach mal wie der Kanzler fahren wollen.
Text: Bernd Schweickard
Foto: Jens Scheibel

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