Nissan 240 RS Gruppe B

Die brutale Gruppe B der Rallyeweltmeisterschaft starb aus, 1985, drei Jahre bevor ich einen Führerschein hatte. Live erleben konnte ich diese Adrenalinbeschleuniger nicht, wie viele andere 70 und 80er Jahre Geborenen. Dennoch haben sich diese Kultfahrzeuge wie der Audi Quattro, Opel Ascona 400, MG Metro 6R4, Peugeot T16 oder ein Lancia Delta Integrale in den Köpfen der Benzinfreaks festgesetzt. So war es wohl auch bei Achim Loth, dem Inhaber einer Karosseriebaufirma in der Schweiz. Der ambitionierte Hobby-Rallyefahrer und Fan der Schotterpisten besitzt schon einen originalen Werks-Rallye-Golf und suchte ursprünglich noch ein weiteres Gruppe A Auto.

Zur gleichen Zeit im Jahr 2008 entdeckte Rallye-Fotograf Reinhard Klein in Kenia drei originale Nissan 240 RS Gruppe B Rallyefahrzeuge die damals in Afrika geblieben waren. Das war durchaus üblich, da die Kosten für den Rücktransport sehr hoch waren und ein Autowerk dann eher direkt einen Neuwagen baute.

 

Der Wagen von Achim Loth hat Chassisnummer 006 und sogar noch den originalen Motor drin. „Matching Numbers“ nennen Fachleute diese Kombination aus originalem Chassis mit originaler Motornummer. Dieser Wagen ist nachweislich durch Nissan das eingesetzte Fahrzeug, auf dem damals Mike Kirkland und Anton Levitan bei der berühmten Safari Rallye 1983 teilgenommen haben. Leider fiel der Wagen früh durch einen Motorschaden aus.

 

Reinhard Klein ist nicht nur Rallye-Fotograf und Kenner der Szene, er ist auch Mitbegründer der „Slowly Sideways“, einer Art Freundeskreis für Besitzer von alten Rallyefahrzeugen. Und was macht man wenn man sich zu einem Treffen zusammenschließt? Man bringt seine Fahrzeuge mit. Das passierte vor einigen Jahren mit der Gründung des „Eifel-Rallye-Festivals“. Eine Veranstaltung bei der nicht auf Zeit gefahren wird, sondern der Spaß miteinander im Fokus steht und das Präsentieren der historischen Fahrzeuge. Am Anfang nur Insidern bekannt, pilgern heute tausende Zuschauer in das kleine Eifelstädtchen Daun. Hier bin ich heute auch und versuche mich zu entsinnen, wann ich zuletzt so viele Menschen bei einem modernen Autorennen gesehen habe.

Am Freitagvormittag findet eine Abnahme statt und die Fahrzeuge stehen auf dem Marktplatz aus. Auch wer sich nicht auskennt, es ist einfach zu finden. Immer nur den Menschen hinterher und auf den „Sound“ zu. Vorbei an Pretiosen der Rallyezeit bis ca. Mitte der 80er Jahre, erreiche ich den Stand von Achim Loth und seinem Team.

 

Heute steht etwas ganz Besonderes an, etwas, was man nicht einfach morgen oder nächste Woche wiederholen kann. Die Mitfahrt im Werks-Nissan 240 RS mit der Chassis-Nr. 006!

 

Nach einer kurzen Einweisung in die Technik und die Besonderheiten des Fahrzeuges, klettere ich über den eingeschweißten Stahlkäfig in den engen Schalensitz. „Das ist das einzige nicht ganz originale Teil an dem Wagen“, sagt mir Achim, schnell waren wir, wie in der Szene üblich, per Du. Früher war hier nur eine Art Klappsitz montiert, ohne Kopfstütze, das man an die Ersatzteile hinten, wie das Reserverad, besser rankommt. Heute geht Sicherheit vor, aber der Rest ist im originalen Zustand wie er mir versichert.

 

Die Restauration erstreckte sich über fünf Jahre. Der Wagen war zum Glück fast komplett, denn Teile für einen Nissan 240 RS zu finden ist mehr als schwierig. Dagegen sind Ersatzteile für einen 50er Jahre Mercedes Benz 300 Sl Gullwing Massenware. Nur rund 200 sportliche Ableger des Nissan Silvia wurden als 240 RS gebaut. Noch weniger als Rechtslenker. Ein paar Teile mussten dennoch erneuert werden, was in diesem Fall jeweils eine Einzelanfertigung bedeutet. Egal ob Blechteil, Motorteil oder nur eine kleine Schraube, alles musste speziell für den Wagen angefertigt werden.

Dieser wurde zwar komplett zerlegt, die Elektrik neu angefertigt und alles überholt, auch die Karosserie wurde gerichtet das sie wieder „gerade“ ist, jedoch wurden „Macken“ gelassen. „Das sind originale Zeichen der Zeit, die gehören so“, ruft Achim mir zu, als ich auf eine recht krumme Stelle oben am Dach hinweise.

 

Und das ist es auch was die Leute lieben die heute hier sind und uns ein wenig den Weg vom Servicepoint zur Straße versperren. Wenn der Wagen, mit dem Mike Kirkland mit Vollgas durch den roten Staub der afrikanischen Steppe gejagt ist, für eines nicht gebaut wurde, ist es Stadtverkehr mit Stop&Go. Achim reißt und zieht am dünnen Schaltstock, dabei immer schön Zwischengas gebend weil das Getriebe nur teilsynchronisiert ist. Mit einem lauten „Klack“ rastet der erste Gang ein und „der Eimer“ wie Achim den 240 RS liebevoll nennt, macht einen Bocksprung nach vorne, als gelte es, der Antilope hinterher zu jagen.

 

Mit einer Menge an metallischen Schleif-, Klapper- und Rattergeräuschen bewegen wir uns raus in Richtung Teststrecke. Die Geräusche wandern außerhalb des Ortes plötzlich in den Hintergrund weil sich die Auspuffgeräusche in den Vordergrund drängen. Ich selbst hatte Ende der 80er an meinem Fahrzeug einen Gruppe A Auspuff mit 100 Phon montiert. Das soll so laut sein, als stünde man drei Meter neben einem Presslufthammer. Hier reden wir aber nicht von solch einer Kinderschokolade, hier reden wir von der Gruppe B! Also noch einen Schalltopf weniger, im Prinzip, einfach nur ein langes Rohr vom Motor bis nach hinten.

 

Wir reden hier auch nicht von Lärm, sondern von Sound, der ganz vorne im 2,4 Liter Vierzylinder entsteht. Rund 280 PS entstehen durch die Explosionen in den Brennräumen die wild fauchend hinten ausgespuckt werden.

 

Mit dem leichten Anstieg auf der Teststrecke hat der knapp 1.000 Kilogramm leichte Wagen einfaches Spiel. 270 Nm drücken bei 7.200 Umdrehungen auf die Hinterachse und lassen diese auch manchmal quer kommen. Das ist ja auch irgendwie der Sinn bei „Slowly Sideways“ und Achim peitscht den in traditionellen Nissan-Farben lackierten Wagen die 180 Grad Kurven hinauf, bis wir so schräg sind, dass ich aus dem Seitenfenster geradeaus schauen kann.

 

Es bleibt keine Zeit zum Denken. Über das Headset wird nicht nur die Stimme des Fahrers und Beifahrers übertragen, sondern auch die Innengeräusche des Fahrzeuges verstärkt wahrgenommen. Das helle Scheppergeräusch dringt so noch viel intensiver in meinen Kopf, von außen klopft das sonore Donnern des Auspuffs an, „Hallo, ist jemand Zuhause?“.

 

Heute scheint die Sonne, es sind 25 Grad und nach einigen Kilometern wird es plötzlich noch wärmer. Ich überlege kurz das Fenster zu öffnen, der 240 RS verfügt über handelsübliche Fensterkurbeln, aber dieses ist bereits unten. Ja klar, keine Dämmung, das heißt nicht nur mehr Geräusch, sondern auch mehr Hitze die der Motor gerne über das Blech in den Innenraum ableitet. Wunderbar.

 

In diesem Moment frage ich mich, was sind das für Typen, die in den 80ern in solch „einem Eimer“ volles Rohr bei teilweise über 40 Grad im Schatten quer durch Afrika fuhren. Dreck, Schlamm, Staub, wilde Tiere und Hitze klingen nicht gerade nach einer Kasperlefahrt.

 

Fragen wir doch einen der es wissen muss, den ehemaligen Werksfahrer der Chassisnummer 006 im ersten Einsatzjahr 1983 genau dort fuhr, Mike Kirkland. Wir treffen den heute 68-Jährigen lustigen Kenianer, der mal sagte: „Nissan hat mich nur deswegen unter Vertrag genommen, weil ich im Kopfstand ein Glas Bier trinken konnte“.

Er ist aber nicht nur ein fröhlicher Mensch, er kann auch richtig Gas geben. Alleine bei der Safari fuhr er in der Steppe Ostafrikas fünf Mal aufs Podium. Hier beim Eifel-Rallye-Festival steuert er den von Achim Loth aufgebauten Werkswagen bei der Parade.

Interview mit Mike Kirkland, Ex-Rallyepilot, Teilnehmer der Safari-Rallye 1983 mit diesem Nissan 240 RS Chassis-Nr 0006:

mab/AWR

Wie war der Moment, als Sie Ihren ehemaligen Werkswagen hier wieder sahen?

MK (Mike Kirkland)

Es war ein unglaubliches Gefühl. Und ich muss sagen, Achim und sein Team haben eine super Arbeit geleistet. Es ist alles so wie vor 32 Jahren. Ich hab es genau kontrolliert. (lacht)

 

mab/AWR

Was ist die Faszination Rallyefahren für Sie?

MK

Es ist für mich alles im Leben. Ich bin 19 Mal die Safari gefahren, aber auch die Zypern-Rallye, die Elfenbeinküste oder die HongKong-Peking Rallye. Es ist für mich das wundervollste Leben was man sich vorstellen kann.

 

mab/AWR

Fahren Sie noch aktiv bei historischen Rallies?

MK

Manchmal schon, wobei ich zuletzt 2006 ins Lenkrad gegriffen habe, bei der „Across South America Rallye“. 30 Tage quer durch den ganzen Kontinent bis nach Ecuador. Das war super.

 

mab/AWR

Was verbindet Sie heute noch mit dem Rallyesport?

MK

Es ist der Spaß! Im Motorsport triffst du die verrücktesten und lustigsten Leute der ganzen Welt. Es ist eine Familie. Ich habe heute noch Kontakte zu vielen Wegbegleitern von früher.

 

mab/AWR

Wie gefällt Ihnen das Eifel-Rallye-Festival?

MK

Es ist absolut fantastisch. Diese ganzen alten Autos und auch Fahrer zu sehen, ich fuhr gegen diesen und gegen diesen hier, harte Duelle. Aber wenn wir uns heute hier sehen, haben wir viel zu lachen. Und die Begeisterung der Zuschauer, einfach wunderbar.

 

mab/AWR

Wäre es ein Wunsch von ihnen mal ein aktuelles Rallyeauto zu fahren?

MK

Nein, ich bin nun 68 Jahre alt und für ein modernes Rallyeauto zu langsam.

 

mab/AWR

Sind Sie sicher?

MK

Mmh, ich denke schon.

 

mab/AWR:

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte mab/AWR-Reporter Bernd Schweickard

 

Text: Bernd Schweickard

© Fotos: Stephan Deck (1), Bernd Schweickard

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