Le Mans: Godzilla kämpfte und verlor!
Mit Spannung wurde beim legendärsten Langstreckenrennen der Welt nicht nur das Duell des letzten Seriensiegers Audi gegen Porsche erwartet. Viele Augen schauten auf die Werkseinsatz-Rückkehr von Nissan in der großen LMP1 Klasse. Als Motorenlieferant ist Nissan mit Kundenteams schon länger erfolgreich, nun soll es nach dem RC90 in den 80/90er Jahren wieder ein eigener Rennbolide sein. Dazu, man ist geneigt zu sagen, natürlich, mit einem völlig anderen Konzept als die anderen Marken. Sicherlich hat man mit dem „Delta Wing“ vor einiger Zeit für imposante Aufmerksamkeit gesorgt, aber eines der härtesten Rennen der Welt mit einem nicht erprobten Rennwagen bestreiten zu wollen, ist das mutig oder verrückt?
Ich neige zu mutig, letztendlich ist die Markenvielfalt bei solch einem Rennen interessant und Nissan hat, besonders bei den älteren Fans die noch die Gruppe C Zeiten kennen, viele Fans, nicht nur an der Rennstrecke. Schön zu sehen das Nissan eines von drei Fahrzeugen in der berühmten Farbgebung blau, weiß, rot lackiert hat, während die anderen beiden in aktuellem, sattem Rot in der Boxengarage stehen.
Dass man mit einem Konzept basierend auf Frontmotor und Vorderachsantrieb nicht um die vorderen Plätze mitkämpft – nicht mitkämpfen kann, die Kritiker haben es alle vorher gewusst. Doch so einfach ist der „Mut von Le Mans“ nicht einzuschätzen. Nissans LMP 1 Projekt war auf dem Zeichentisch ein geniales, ein völlig neues Konzept. Die Idee war gut – denn bei dem LMP 1 Konzept ging es nicht um den Frontantrieb, sondern um eine umgekehrte Hybrid-Lösung. Die dynamische Achslastverschiebung sorgt auch bei Rennwagen dafür, dass es die Vorderachse ist, die mit den größten Rekuperations-Leistungen umgehen kann. Die ursprüngliche Idee von Nissan, rekuperieren an der Vorderachse, Leistung – den Boost – dann an der Hinterachse wieder auf die Straße zu bringen, unterlag thermischen Problemen der radikalen Konstruktion. Das extrem schlanke Heck hätte der Aerodynamik maximal zugespielt, zugleich wäre die Anströmung des Heckflügels ideal gewesen. Soweit die Idee.
Bei den ersten Tests zeigte sich jedoch: Nicht jede Idee lässt sich bereits im ersten Schritt zum Erfolg führen. Am Ende musste Nissan den Hybrid-Allradantrieb aus dem Auto werfen und den Start in Le Mans – denn eine Nennung für Le Mans zieht man nicht „einfach so“ wieder zurück – mit einem Fahrzeug wagen, dessen Konzept nur zu 65 % umgesetzt wurde.
In der Folge war „Godzilla“ nicht wettbewerbsfähig. Und das, für die Nissan-Techniker muss es mit Ansage gekommen sein, führte zu einem „ungleichen Kampf“ in Le Mans. 65 % Leistungsfähigkeit reichen für Le Mans einfach nicht. Auch dann nicht, wenn man hinter vorgehaltener Hand von über 1.200 PS Systemleistung munkelt.
Nur wer kämpft, kann auch verlieren
Nissan muss diese Probleme gekannt haben. Dass der LMP 1-Godzilla nicht konkurrenzfähig war, Nissan dürfte das akzeptiert haben und stellte sich dem Wettbewerb. Denn nur so kann man aus den Fehlern lernen.
Alles deutete auf eine tragisch-komisch Nummer in Le Mans hin. An der Strecke am Rennwochenende sah das aber anders aus. Nippon-Fans mit wehenden Nissan- und Nismo-Fahnen rund um die Strecke und Belagerung des Nissan Standes in der Fan-Area. So gehört sich das als Race-Fan! Und auch wenn Godzilla humpelte, Nissan spielte die Show mit!
Zum Start am Samstag um 16 Uhr konnte der Nissan #23 mit Olivier Pla, Jann Mardenborough und Max Chilton bedingt durch einen Kupplungsschaden, erst mit einigen Runden Rückstand gegen 17 Uhr aus der Box starten. So viel Pech passt zu den „Problemen mit Ansage“.
Die ersten Stunden fuhren die #21 mit Tsugio Matsuda, Mark Shulzhitskiy und Lucas Ordonez und die #22, pilotiert von Harry Tincknell, Alex Buncombe und dem deutschen Michael Krumm, im Gleichschritt über die 13,629 Kilometer lange Strecke an der Sarthe.
In den ersten Stunden des Rennes absolvierten alle drei Nismo GT-R LM über 100 Runden, bis in der Nacht die übliche Dramatik eines 24h-Rennens auch die Nissan Mannschaft ereilte.
Die #22 hatte zwar schon die ganze Zeit über mit Kinderkrankheiten zu kämpfen, aber als Tincknell nach neun Rennstunden mit rund 340 km/h in ein Trümmerstück raste, das mittig auf der Ideallinie vor der Indianapoliskurve lag, wurde es richtig hektisch an der Box. „Ein Fahrzeug von den dreien muss durchkommen“ lautete spätestens nun die Devise der eifrig arbeitenden Nissan Truppe. Dass es ausgerechnet die #22 werden soll, die mit 150 Runden Rückstand am Sonntag um 16 Uhr das Ziel sah, war zu diesem Zeitpunkt keinesfalls klar. Aber hier passte einfach alles für einen 24h-Überlebens-Fight. Die Boxencrew kämpfte, um das Auto über die Zeit zu bringen und am Steuer saßen richtige Racer. Männer, die den Wagen auch in der Nacht mit fehlender Frontpartie und dadurch ohne Fahrlicht souverän bis zur Schnell-Reparatur steuerten. Das sind einfach Geschichten, die können nur bei einem 24h-Rennen geschrieben werden!
Die #21 im schönen 90er Jahre Design war leider der erste Ausfall, nicht nur bei Nissan, sondern im gesamten LMP1-Feld. Nach 10-Stunden war mit beschädigter rechter Vorderradaufhängung vorzeitig Schluss.
Die mit einer Rennstunde aus der Box verspätet gestartete #23 wurde für alle Mühen und Einsatz leider nicht belohnt und rollte in der vorletzten Rennstunde mit Getriebeschaden aus.
„Ich bin sehr stolz auf das ganze Team“, äußerte sich Nissan Motorsport-Chef Darren Kox nach dem Rennen. „Die Fahrer machten einen erstklassigen Job und unsere Boxen-Crews sind allesamt Helden, die unermüdlich alles gegeben haben, um die Autos über die 24h zu bringen. Wir haben viel gelernt und werden sicherlich gestärkt aus dieser Schlacht zurückkehren. Für uns war wichtig, dass der Motor gehalten halt und dass wir ein Auto ins Ziel gebracht haben. Das ist vielen Herstellern bei ihrem ersten Auftritt in der LMP1 Klasse nicht gelungen“.
Zusätzlich zu seinem engagierten Auftritt in der LMP1 Klasse liefert Nissan Nismo auch Motoren an Kundenteams in der LMP2 Klasse aus. Und hier konnte man eindrucksvoll Erfolge feiern.
Der Nismo befeuerte Oreca-Nissan #47 des KCMG-Teams fuhr souverän den Sieg ein. Nicolas Lapierre, Matt Howson und Richard Bradley hatten von der Pole-Position aus alles im Griff und bei Rennhalbzeit schon eine Runde Vorsprung rausgefahren. Mehr noch, sie schafften es, bei 22 von 24 Rennstunden als Führender die Start- und Ziellinie zu passieren, machten es aber durch zwei Ausrutscher künstlich spannend. Einmal waren Bremsprobleme die Ursache, bei Lapierre die kalten Reifen nach einem planmäßigen Stopp in der Box. So hatten die Sieger in der LMP2 Klasse nach 24h Dauerhatz gerade einmal 48 Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten, den Vorjahressieger JOTA Sport Gibson-Nissan #38. Die #26 von G-Drive Ligier-Nissan machte für die Japaner das Podium in der LMP2 Klasse mit Nissan-Power komplett. Solch ein Triumph wird in der LMP1 Klasse sicherlich noch etwas dauern.
Wer die Le Mans Rennboliden und den GT-R LM auch einmal live sehen möchte, kann dies demnächst sogar hierzulande. Den nächsten Einsatz hat die Godzilla-Truppe am Wochenende des 30. August beim 6h-Rennen der WEC Serie auf dem Nürburgring.
Text: Bernd Schweickard
(c) Foto: Bernd Schweickard