Il Americano

Lancia war früher die Marke soliden Designs und anspruchsvoller Technik. Die Eleganz der Automobile des Vincenzo Lancia uns seines Freundes Claudio Fogolin, einem ehemaligen Fiat-Versuchsfahrer, ließ jedoch nach dem zweiten Weltkrieg immer mehr nach, die Fahrzeuge gerieten zu Geräten von etwas plumpem Chic, mit Ausnahme des Fulvia Coupés, das durch seine Funktionalität schon wieder fast zur Design-Ikone wurde. Der spätere Stratos war dann rein auf Funktionalität getrimmt;  und zwar nur für den Rallyeeinsatz unter Walter Röhrl.

War das Design jener Zeit der Technik gezollt, wurden die Lancias früherer Zeiten wirklich mit rarer Technik ausgestattet., die u. a. im Formel-1-Sport getestet wurden, bis der Namensgeber seine Rennsportabteilung 1955 nach dem Tod des Spitzenfahrers Alberto Ascari an Ferrari verschenkte. Juan Manuel Fangio wurde darauf 1956 mit einem Lancia-Ferrari zum vierten Male Weltmeister. 

In der Technik der Motoren unterschieden sich die Lancias mit den wassergekühlten Beinahe-Boxern (V’s mit liegenden Schenkeln), getrimmt auf hohe Drehzahlen und spitze Drehmomente, mit den Fulvias und Fulvia Coupés deutlich von den langhubigen Alfa-Motoren. Und besonders beim Fulvia HF Coupé war besonderer Wert auf höchste Leistung gelegt worden, was der Vorgänger des Stratos in der Erringung von Rallyesiegen oft bewies. 

Heute präsentiert sich Lancia in Europa als kommode Marke, die hauptsächlich auf die amerikanischen Ursprünge von Chrysler baut. Neben dem Ypsilon und dem Delta werden in Europa der Voyager angeboten, der Flavia und der Thema. Während der Ypsilon seine Wurzeln noch im Urahn Autobianchi findet, ist der Voyager reinen Chrysler-Ursprungs, genauso wie der Flavia und der Thema auf dem 300er Chrysler basieren.

Allerdings hat Sergio Marcchione gut daran getan, die US-Importe deutlich europäisch zu positionieren – und entsprechend auszustatten und aufzubauen. So fehlen dem Thema jene weiten Spaltmaße wie sie noch beim 300er vorhanden waren, Klappergeräusche sind nicht mehr vorhanden, genauso wenig die undefinierbaren Geräusche aus dem knarzenden Fahrwerk oder die Knackse aus Richtung Antriebsmechanik. Das passt inzwischen alles so zu europäischen Erwartungen, dass kein Radio mehr die Fahrgeräusche übertönen muss.

Der wuchtige Thema gibt rundum ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit. Mit seinem Dreiliter-Dieselmotor passt er in den europäischen Verkehrsraum und hat überaus reichlich Kraft, den Beinahe-Zweitonner immer noch behende zu bewegen. Nur das Automatik-Getriebe kommt manchmal noch nicht so recht mit der Kraft zurecht. Im Rückwärtsgang meine Garagenauffahrt hinauszufahren, bedeutet für den schweren Thema ziemlich viel Verschleiß an Wandler und Kraftschluss. Und außerdem spricht hier das Gaspedal erst ruckelig an, nämlich zuerst gar nicht und dann mit voller Wucht. Was dazu führt, dass eben die Räder durchdrehen. Weiß man’s, kann man’s vermeiden durch mehr Anlauf schon von der Ebenen her. Und beim nächsten Mal aufpassen, denn Zweitonner sind heute so gang und gäbe wie vor dreissig/vierzig Jahren die Leichtbauten vom Typ eines 700 kg-Golf I.

Dennoch dient die Wuchtigkeit des neuen Thema durchaus der Straßenverkehrssicherheit. Mit amerikanischen Sicherheitsstandards ausgestattet, schützt sie Insassen wie Fußgänger oder andere mögliche Unfallbeteiligte vorbildlich. Z.B. mit der Ausstattung der Frontstoßstange mit Sensoren, die bei einem Aufprall eines Fußgängers die Motorhaube um ein paar Zentimeter anhebt, um schwerere Personenschäden zu vermeiden. Dies ist besonders den Journalisten wichtig, die sich im Verband der Motorjournalisten mit Hauptaugenmerk auf die Straßenverkehrssicherheit konzentrieren.

Ansonsten erinnert der gewandelte „Americano“ zwar nach wie vor auf eher sympathische Weise an die wuchtigen Limousinen aus anrüchigen Chicago-Filmen und mit Wehmut daran, dass der noch typischere „Americano“ als Station Wagon nicht mehr im Handel ist. Aber Sergio Marcchione hat ausrechnen lassen, dass sich ein Kombi nicht lohnt, solange er seine Liebhaber fast ausschließlich auf dem deutschen Markt findet.

Im Finish der Karosserie gibt’s nach dem moderaten Facelift unter Fiat-Regie viel weniger zu beanstanden (außer, dass der typisch amerikanische Look ein wenig gelitten hat) als zu beglückwünschen. Das Auto – insbesondere in der zur Verfügung gestellten weißen Lackierung – macht was her und fällt dabei nur sympathisch auf. Innen genauso, dort lümmelt man sich in riesigen Fauteuils, natürlich mit feinem Leder – wahrscheinlich vom italienischen Lederzar Poltrona Frau – bezogen und kontrastierender Keder, mit sphärisch beleuchteten Armaturen und einem riesigen Monitor in der Mitte der Frontmöblierung. Damit dieser Monitor und sein Computer dahinter gut ausgelastet sind, wird allerdings nahezu alles über den Touch Screen geschaltet. Was insbesondere bei der gut funktionierenden Sitzheizung und bei der schnell aufheizenden Lenkradbeheizung nicht besonders erquicklich ist. Und bei anderen Einstellungen, die bei jedem Motorneustart auch wieder am PC neu eingestellt werden.

Trotz der kleinen Schwächen – die ich übrigens in ähnlicher Form, allerdings ohne Monitor und Computer dahinter auch bei meinem uralten Chevrolet Caprice schon beide Augen zudrückend akzeptiere – wäre der Thema für mich eine erste Alternative zu europäischen Fahrzeugen der gehobenen Mittelklasse,  wenn’s denn wieder einen „Station Wagon“ davon gäbe. Denn wirklich geräumige Kombis sind in dieser Fahrzeugkategorie eher Mangelware.                        

Text: Heiner Klempp

Foto: Bernd Schweickard

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