Am heutigen Samstag steht noch mal eine lange Etappe an. Auf der Augustusbrücke wird gestartet, dann geht es nach Krasna Lipa in die Tschechische Republik, der Heimat der Volkswagen Konzernmarke Skoda die auch mit einigen Autos vertreten ist. Das große Finale wird am späten Nachmittag vor der „Gläsernen Manufaktur“ von Volkswagen in Dresden gefeiert.
Heute läuft es besser, die ersten Wertungsprüfungen gelingen uns natürlich noch nicht perfekt, aber das Zusammenspiel Fahrer-Beifahrer, Zeit – Wegstrecke funktioniert idealer. Im Fussball würde man sagen, man lernt die Laufwege des anderen kennen und zu deuten. Als Hilfe klebt mir Hermann nun PostIt’s mit der Zeit und der Strecke in Metern an den Rückspiegel. Er zählt runter, ich fahre schnell rein in die Prüfung und habe immer den zeitlichen Endpunkt auf dem PostIt vor Augen. In der zweiten Wertungsprüfung fahren wir direkt auf Platz 52 von 180 und so scheint „Mission Top 100“ doch noch möglich.
„Um 10.52 Uhr kommt das vorübergehende Ende nur wenige Meter vor der Zeitkontrolle in Krasna Lipa.“
Der dritte und wieder einigermaßen heiße Tag fordert schon am Vormittag seinen Tribut. Einige Fahrzeuge stehen mit offener Motorhaube am Wegesrand, auch die Nummer 43 mit VW-Klassik Sprecher Eberhard Kittler an Bord eines VW Golf I wie er damals in die DDR geliefert wurde. Der Kupplungszug war gerissen wie wir später am Tage erfahren sollen.
Kurz danach kommt ein Teilnehmeraus aus einem Porsche 911 hinter uns, im Stop&Go vor der Kontrolle, an meine Tür und spricht Worte aus, die man nicht gerne hört „Du, nach jedem Halt ist unter eurem Auto eine Pfütze, da musst du besser mal schauen.“
Heut ist es mit rund 30 Grad nicht so heiss wie gestern, trotzdem schwitze ich, fahre rechts ran und sehe nach dem Aussteigen schon die dunkle nasse Stelle auf dem Asphalt. Hermann kommt von der Zeitkontrolle zurück und ahnt schon nichts Gutes. Wasser oder Öl? Eine Frage wie Pest oder Cholera, keins von beiden ist schön. Finger rein, gefühlt, gerochen – Öl! Wir werfen uns unter das Auto und sehen eine mit Öl verschmierte Front des Motors und der unteren Aufhängungsteile. Aus!
Spring schnell in den VW T2 Bus dort vorne, dann kommst du schon mal zum Mittagshalt in Löbau beim Zuckerspeicher. Ich rufe mal den Klaus an, ob wir das noch repariert bekommen. Klaus ist im sympathischen Team von VW Classic so was wie der Maschinist, der überall im Einsatz ist und versucht die Wagen alle ins Ziel zu bekommen, wenn mal ein Problem auftritt. Aber hier, bei unserem größeren Ölverlust am VW Golf G60, dem limitierten Sondermodell bin ich mir unsicher. Dazu hat der Wagen noch einen seltenen Motor eingebaut, den es eigentlich nur in einer Kleinserie des G60 Limited in normaler schmaler GTI Karosse gab. In dieser Version liefert der Motor 210 PS anstatt der serienmäßigen 160 PS an alle vier Räder, da der Rallye Golf den „Syncro“ genannten Allradantrieb eingebaut hat. Im Moment liefert diese seltene, komplett originale Motoreinheit, jedoch nur Null PS.
Nach etwas über einer Stunde kommt ein Anruf „Er läuft wieder, Hermann fährt auf Bestzeitkurs die Verbindungsetappe nach Löbau und holt dich ab.“ Unfassbar, bei der Hitze und zwei fast parallelen Ausfällen sind wir wieder dabei. Auch wenn es nun nicht mehr um eine Gesamtplatzierung geht, durch den Ausfall haben wir zwei Prüfungen nicht fahren können und kassieren Strafpunkte im vierstelligen Bereich, freuen wir uns einfach auf die Zielankunft in Dresden.
„Den Wagen ins Ziel zu bringen ist nun die Aufgabe!“
Der Weg führt uns durch malerische Landschaften mit hunderten von fröhlich winkenden Menschen am Wegesrand. In so manchem kleinen Örtchen haben sich mehrere Einwohner im Vorgarten eines Nachbarn getroffen. Bierbänke, Essen, Trinken und Luftballons am Gartenzaun bringen Partystimmung mit, die wir schwitzend aufsaugen. Eine so tolle Atmosphäre hätte ich mir gar nicht vorstellen können.
Während der Fahrt haben wir ständig die Öldruckleuchte im Auge, aber es passiert nichts. Hermann und Klaus haben mit einer Schraube und 3-Komponentenkleber das Problem am Öldruckgeber repariert. Der nächste Halt ist die Traditionsbrauerei Radeberger wo sich das Teilnehmerfeld sammelt und fast geschlossen auf die letzten Kilometer nach Dresden geht, zum Zieleinlauf an der Gläsernen Manufaktur. Kurz vor uns hat ein mächtiger Hagelschauer die halbe Stadt und das Umland lahm gelegt. Überall liegen abgebrochene Äste herum, Ampelanlagen sind ausgefallen, Straßenbahnen stehen blinkend hintereinander in der Stadt, fast ein Endzeitszenario.
Davon ließen sich aber viele Dresdner und Oldtimerfans nicht abhalten und einige hundert stehen am Zielleinlauf winkend in mehreren Reihen hintereinander, als um 15.20 der erste Wagen die Ziellinie passiert. Wir sind mittendrin und es ist ein unglaublich schönes Gefühl, langsam die Rampe hinauf zu rollen bis sich die schwarz-weiß karierte Flagge vor unserm VW Golf G60 senkt. Geschafft!
„Die Sachsen Classic ist mehr als nur eine Oldtimer-Rallye, sie ist wie ein großer Familienausflug!“
Rund 620 Kilometer haben wir zurückgelegt, bei uns können es auch 10 Kilometer mehr sein, als wir 2-3 kleine außerplanmäßige Umfahrungen hatten, weil wir einen Abzweig verpassten. Drei Tage voller Erlebnisse, Gluthitze, Ausfall, Reparatur und schöne Landschaften liegen hinter mir und Hermann Dreyer.
Dazu habe ich das erste Autogramm meines Lebens geschrieben, als ein Kind an unser Auto kam und für sein Sammelheft, das Programmheft mit den Abbildungen aller Fahrzeuge, die jeweiligen Unterschriften der Besatzung wollte. Obwohl es schon ein wenig anstrengend war, ist es schade, dass dieser große Familienausflug vorbei ist.
Text: Bernd Schweickard
© Foto: Uli Sonntag für VW, Bernd Schweickard
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